Rennanalyse mit DH-Veteran Marcus Klausmann

Hallo Marcus, du bist ja bis jetzt noch nicht ganz so viele Endurorennen gefahren, sag uns mal wie es dazu kam, dass du in Finale an den Start gegangen bist und wie das Rennen und alles drum und dran so für dich gelaufen ist!?

Marcus Klausmann: „Gelegentlich stellen mir ambitionierte Mountainbiker die eine Frage: „Welches Rennen muss man zumindest einmal in seinem Leben gefahren sein?“ Ganz klar – das EWS Rennen in Finale Ligure / Italien – wer auf das Extreme steht, ist hier gut aufgehoben.

Für mich war es Anfang Oktober soweit. Nach meinem Debüt im letzten Jahr wusste ich aber schon ziemlich genau, was auf mich zukommen wird – es ist ein sauhartes Rennen.

Das Wettkampfwochenende an der italienischen Küste definiert sich vor allem durch lange Transferstücke und brutale Stages.

Schon bei der Anmeldung am Mittwoch wurde für den kommenden Freitag eine Unwetterwarnung rausgegeben. Der zweite Trainingstag wurde dann auch zeitnah wegen Sturm und Dauerregen gecancelt – in Anbetracht dessen, was an der Côte d’Azur an diesem Wochenende los war, war diese Entscheidung nachvollziehbar. Somit war klar, es musste ein Trainingstag für 6 Stages reichen.

Nach den verhehrenden Wetterbedingungen wurde aus Sicherheitsgründen die erste Stage gestrichen – eigentlich die coolste Stage des ganzen Wochenendes. Aber kein Grund für Trübsal, der erste Renntag konnte trotzdem mit läppischen 1400 Höhenmetern und geschätzten 50 Kilometern ganz schön schmerzen.

"Das Wettkampfwochenende an der italienischen Küste definiert sich vor allem durch lange Transferstücke und brutale Stages." - Klausmann über das Rennen in Finale Ligure
„Das Wettkampfwochenende an der italienischen Küste definiert sich vor allem durch lange Transferstücke und brutale Stages.“ – Klausmann über das Rennen in Finale Ligure

Stage 1, die wohl umstrittenste Passage des gesamten Wochenendes, stellte den Auftakt zum Rennen dar. Gefühlt ging es 80% stetig bergauf – technisch nicht gerade eine Herausforderung, dafür konditionell umso perverser. Meine Devise in solchen Abschnitten heißt: „Lieber vorne sterben als hinten verhungern!“ Nach ca. 6-7 Minuten ließ mich mein Leitfaden leider im Stich, ich war blau und machte viele kleine Fehler, die einiges an Zeit kosteten. Rang 78. in der ersten Stage ist nicht sehr motivierend – aber ein eindeutig Zeichen, woran ich in Zukunft arbeiten muss.

Die 2. Stage war mehr nach meinem Geschmack. Kurze knackige Anstiege und viele Switchbacks. Ich fand schnell meinen Rhythmus, fühlte mich dabei zwar nicht super schnell, aber gut. Resultat war Platz 25 für diese Stage – Daumen hoch. Die letzte Stage dieses Tages war der legendäre Downhilltrack von Varagotti. Es erwarteten uns viele Steine und richtig viele Zuschauer. Für mich war es wohl die beste Stage des ganzen Events. Im oberen Teil ging es flott zu. Es gab einige kleine Steinfelder, die man gut überspringen konnte. Ganz im Downhillstyle fuhr ich volles Risiko und dabei ist mir ein Fehler unterlaufen. Ich unterschätzte die Länge eines Steinfeldes und sprang mit meinem Vorderrad direkt auf einen Stein. Zuerst machte es „päng“ – dann „klong“. Und ganz ehrlich, ein „klong“ ist extrem bescheiden. In der nachfolgenden Trettpassage war es klar, mein Vorderrad verlor Luft. Es vergingen nur Sekunden bis es völlig platt war. Verdammt! Was nun? Flicken oder weiterfahren? Im Unterschied zum Downhill muss man im Enduro den gleichen Laufradsatz über das gesamten Rennen fahren, egal wie es um diesen bestellt ist. Wenn man bestimmte Komponenten wechselt, hagelt es Strafzeiten. War also klar, dass ich flicken musste und somit wertvolle Zeit verlieren würde. Nach dem Ausbau und das Einlegen des Schlauches – hier bin ich noch Profi – hieß es Pumpen. Da ich noch nie eine Luftkartusche benutzt hatte, verjubelte ich zu viel Luft und musste mich mit geschätzten 0,5 Bar ins Ziel retten. So hatte ich mir die Stage nicht vorgestellt, mein Ziel war anzugreifen. Aber das war schon der erste Denkfehler. Enduro ist nicht Downhill! Die Reserven an Material und die Streckenkenntnisse sind im Unterschied zum Downhill dürftig. Ist eine Passage nicht richtig auf dem Schirm gespeichert, kann es schon vorbei sein. Besonnenheit ist hier Devise, nicht die Brechstange. Nach diesem selbstproduzierten Desaster spielte die Gesamtwertung keine Rolle mehr. Das restliche Rennen lief unter dem Motto: “Lernprozess„ – ich konnte attackieren, zu verlieren gab es sowieso nichts mehr.

Der "legendäre Downhilltrack von Varagotti" war letzte Stage des ersten Renntages.
Der „legendäre Downhilltrack von Varagotti“ war letzte Stage des ersten Renntages in Finale Ligure.

Stage 4 läutete den zweiten Renntag ein. Mit einem Anstieg von 1100 HM zur Natobase war dies der größte Brocken des gesamten Rennens. Oben angekommen lag die längste Stage des Wochenendes vor uns. Mit 14 Minuten Fahrzeit kann man diese Stage schon als Koloss bezeichnen. Dieser Streckenabschnitt zeichnete sich durch einige sehr technische und konditionell anstrengende Stücke aus. Am zweiten Renntag ist man einfach k.o. – die Beine schmerzen, ich war müde und manche kleinen Wehwehchen begannen zu piesacken. Ich kämpfte mit Rückenschmerzen, an Attackieren war nicht mehr zu denken. Platz 63. ist keine Glanzleistung, mehr war aber nicht drin und es gab ja noch die letzte Stage zum Punkten. Beim Endspurt dieses Events griff ich nochmal richtig an. Mein Vordermann war in greifbarer Nähe und ich war heilfroh über dieses Erfolgserlebnis. Leider hatte mein Transponder genau in dieser Stage den Dienst verweigert und ich wurde mit einem „not arrived“ gewertet. Bitter – aber für das Resultat auch nicht mehr relevant. Wenn ich alles zusammennehme, dann kann ich sagen, dass bei dem Rennen der Wurm drin war – dafür war es aber auch sehr lehrreich und spaßig. Nun geht es in die „Offseason“, um neue Kräfte für die kommende Saison zu sammeln.“

Das Podium der Teamwertung der Enduro World Series 2015.
Feuchtfröhlich – Das Podium der Teamwertung der Enduro World Series 2015.

Alle Ergebnisse der letzten Saison sowie den Rennkalender für die Saison 2016 findet ihr unter enduroworldseries.com.

Fotos Matt Wragg, Jeremie Reuiller, Sebastian Schiek